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Das Ungelebte Leben

Michael Endes „Unvollendete Geschichte“ ist eines der fünf Bücher, die ich auf die Insel mitnehmen würde. Meine Leidenschaft für diese Story war schon früher einmal Gast hier in dieser Kolumne.

Dieses Epos ist ein Prisma vielfarbener Erzählniveaus, eine Geschichte verwoben in einer Geschichte in einer Geschichte. Die Reise beginnt in einem antiquarischen Buchladen und kehrt am Ende dorthin zurück. Zwischen den Buchdeckeln entfaltet der geniale Schriftsteller kunstvoll tiefe Wahrheiten vor unseren Augen über das menschliche Dasein und über das Leben selbst.

Kernidee dieser Geschichte ist einer von jenen Fäden, die ich immer wieder aufnehmen möchte, die nie ganz aus meinem Kopf verschinden.
Im Zentrum der Saga gibt es eine fundamentale Gefahr, das Nichts droht Phantasia und die Kindliche Kaiserin auszulöschen und zu verschlingen.

Das tödliche Gift in dieser Story ist nicht eine bösartige Macht.
Es ist nicht eine manipulierende Verführung, es ist nicht ein gewissenloses Einflüstern, das es zu widerstehen gilt und es ist auch keine laute Kriegszenerie, die mit Pauken und Trompeten und roher Gewalt antanzt.

Es ist nichts dergleichen.
Die fundamentale Gefahr in Endes Buch ist das Leben, das wir nicht gelebt haben.
Es ist das Potenzial, das wir nicht erkannt haben.
Es sind die guten Qualitäten in uns, die wir übersehen haben.

Sie hätten wunderschöne Blüten werden können. Nur waren wir damit beschäftigt, uns selbst Vorwürfe zu machen, was wir alles nur wo und wie falsch gemacht haben. Wir dachten immerzu, woran wir überall schuld sind und was wir zum Kuckuck hätten fünfmal anders machen sollen. Wir hatten es vorgezogen, uns als Versager zu sehen.

 

Wild ist das.
Der Moment kommt, wo uns nichts bleibt als die Substanz, die wir in unserem eigenen Sein zusammengematscht und aufgebaut haben. Das große Nichts da draußen erzeugt eine Sturmflut, wenn die Zeit da ist. Nur das Gute in uns, das wir gesehen, gewässert und aufmerksam umsorgt haben, durch all die schwierigen Momente und entmutigenden Abschnitte hindurch, wird genug Energie haben, um dem Sog zu widerstehen.

Es ist nicht das laute Rauschen, das gefährlich ist.
Es ist die Stille, wenn wir es verabsäumt haben, die Lautstärke aufzudrehen, um unser eigenes Lied zu hören.

Dieses Lied hören zu lernen, das ist die Aufgabe. Manchmal hören wir gar nichts. Oder nur ein Störgeräusch, ein Zischen, ein Murmeln. Aber dahinter muß das Lied irgendwo sein. Es scheint ein universelles Ding der Menschen zu sein, zu wissen, daß es da ist.

 

Ich weiß jetzt nicht, ob Du – so wie ich – gern Michael Ende liest oder ein Faible für Fantasy Stories mit philosophischem Einschlag hast.

Was ich aber weiß ist, daß Du ein weises Ich da drin hast, das das Gute und Substanzielle sieht und schätzt. Was erkennt, wie unendlich wertvoll dieses Wesentliche ist, das uns manchmal selbst eher wie ein zusammengepamptes, fehlerhaftes Irgendwas vorkommt. Was es vielleicht auch ist.
Nur ist es nicht an uns, das zu beurteilen, sondern es zu hegen und zu pflegen.

Mach weiter auf dem Weg und bring diese abenteuerlich schöne Blüte zum Blühen, was auch immer das Leben grad an Dich für Käse hinschmeißt. Musik hilft dabei immer.

 

Hab einen tollen Sommer,
genieß die Mojitos und salzige Oliven
und wipp ab und zu mit dem Fuß zu dem Lied, das in Dir klingt,
herzlichst,
Anselma

P.s. Scott Pool, Fagott Professor in Texas, USA, hat den Uhren-Tango aus den Tango Etüden PRO aufgenommen. Sehr cool geworden, schau mal rein ;o)