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Perspektive macht einzigartig

Als Einstein gefragt wurde, wie er seine Relativitätstheorie in einfachen Worten beschreiben würde, soll er gesagt haben: „Eine Stunde auf einer Parkbank mit einem hübschen Mädchen erscheint wie eine Minute. Eine Minute auf der heißen Herdplatte erscheint wie eine Stunde.“

Sehr eindrücklich – und so universell! Wir denken ganz gern, unsere Sichtweise wäre die Wahrheit. Tatsächlich ist sie aber eben nur das, eine Sichtweise.

 

Als ich Kind war, war das große Tischgespräch die Schule und natürlich die Lehrer. Meine älteren Geschwister sprachen über einen dieser Lehrer und ich weiß noch, wie sehr ich fasziniert war, daß sie über den selben Menschen sprachen, aber sehr unterschiedliche Erlebnisse mit ihm hatten.
Jeder von ihnen verband andere Dinge mit der selben Person.

Wie war er nun wirklich?

Nachdem ich erst in der Volksschule war, kannte ich diesen Mann gar nicht. Ich hatte ihn nie gesehen, wußte nicht wie er aussieht. Dennoch hatte ich schon so ein umfassendes Bild durch die Erzählungen.
Es war, als hätte ich ihn schon oft gesehen ohne ihm je begegnet zu sein.

 

Eine ganz andere Kategorie des selben Phänomens erleben wir, wenn Perspektiven aneinander prallen. Wir haben eine bestimmte Sichtweise und jemand anderes eine sehr gegensätzliche.
Wir geraten in Streit und können sehr emotional werden, um unsere Perspektive zu verteidigen. Menschen sind sogar bereit, anderen etwas anzutun oder im Extremfall zu töten – wenn sie mit einer Sichtweise konfrontiert werden, die nicht der ihren entspricht.

Das beste Beispiel, das mich schon als Kind vor den Kopf stieß, war die Idee, daß „mein Gott besser als Dein Gott“ sein würde. Im Falle von Christentum, Judentum und Islam handelt es sich paradoxerweise sogar um ein und den selben Gott, da alle drei abrahamische Religionen sind. Warum hatte es Kreuzzüge gegeben? Warum wurden die frühen Christen verfolgt und später die Juden? Wenn doch die Verfolger stets den selben Gott annehmen? Welchen Sinn hatte das?

 

Dieses Beispiel ist so offensichtlich, daß es echt weh tut.
Es schmerzt zu sehen, wie absurd menschliches Verhalten werden kann.
Es fühlt sich so an, als würden wir das, was uns so einzigartig macht, vollkommen mißbrauchen: unsere starke mentale Kapazität. Wir verschanzen uns ganz gern hinter ihr, anstatt sie für ein konstruktives Miteinander zu nutzen.

 

Auch unser eigenes kleines Leben birgt Beispiele, wo wir in diese Falle tappen.

Wenn ich drüber nachdenke, hab ich das Gefühl, der nächste Schritt in der Evolution wäre vielleicht, daß wir verstehen, daß die Welt durch jedes Paar Augen hindurch anders aussieht. Und was wir selbst sehen, ist eben auch nur das: ein kleiner Ausschnitt.

Die Wahrheit haben wir nicht parat, nur unsere Perspektive.
Und das gilt für jeden um uns herum und für uns selbst.

 

Die Wahrheit kommt mir wie ein immens großes Puzzle vor. Niemand kann das ganze Bild erkennen. So lange, bis jeder einzelne sein Steinchen beiträgt. Dann beginnt alles einen Sinn zu machen.
Der Groschen fällt, wenn wir unsere Sichtweisen kombinieren und zusammenfügen – statt gegeneinander ausspielen.

 

Ich wünsch Dir einen wunderschönen Vorfrühling,
herzlichst,
Anselma

 

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