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Der Mittlere Weg

In der östlichen Philosophie gilt es als erstrebenswert, sich von Extremen fernzuhalten.
Das fand ich schwer zu verstehen. Warum denn? Extreme sind doch nicht schlecht!

Erstens: Sie verhelfen uns zu Fortschritt.
Was ändern ist schwer, also sowas wie mehr üben oder weniger essen.
Menschen sind Gewohnheitstiere. Gewohnheiten entwickeln ein Eigenleben und wollen nicht abgeändert, geschweige denn eliminiert werden.
Erst wenns richtig schlimm wird, wenn wir ein Extrem erleben, sind wir normalerweise motiviert genug, um in die Gänge zu kommen.

Zweitens: Sie machen das Leben interessant.
Immerzu im ausgeglichenen Mittelmaß zu schwelgen – wer will das denn? Klingt mehr als fad. Extreme helfen, sich lebendig zu fühlen.

 

Andererseits hat die östliche Welt weise Männer hervorgebracht. Und wenn diese sich Jahrhunderte und länger einig sind, daß der Mittlere Weg eine großartige Idee ist, wäre das doch etwas anmaßend zu sagen, naja, die reden halt Quatsch.

In anderen Worten, ich habs noch nicht kapiert.
Hm… besser aufpassen und genauer hinschauen!

 

Mein Forschungsgebiet war, naheliegenderweise, der Unterricht. Solcher, den ich bekommen und solchen, den ich selbst gegeben hab.
Dabei fielen mir zwei große Tendenzen auf.

– Wir sind zu optimistisch.
Der Lehrer überschätzt, was der Schüler kann. Was durchaus motivieren kann und kein Problem sein muß. Blöd ist nur, wenn diese Fehleinschätzung vor Publikum auffliegt.
Dann kann es passieren, daß der Lehrer ganz schnell ganz grantig wird. Schuldzuweisungen sind dann nicht fern. Und diese sind sinnlos, sie zerstören bloß, was vorher an Frieden und Freundschaft vorhanden war.

– Wir sind zu pessimistisch.
Der Lehrer erkennt, daß eine Korrektur nötig ist. Und zwar ÜBERALL. Wenn man genau hinsieht, ist nämlich nichts im Leben so clean wie es sein sollte.
Jeder einzelne Ton, jede Körperbewegung, jedes Detail – einfach alles – gehört optimiert.

Das führt schnell zu Frust. Frust für beide Seiten: für den Lehrer, weil das nie ein Ende nimmt und für den Schüler, weil das nie ein Ende nimmt.
Alle Seiten verlieren, hat man den Zoom auf makro-riesengroß eingestellt.

 

Jetzt kommt das Interessante an dem Ganzen:
Ich stellte fest, der beste Unterricht liegt in der Mitte.
Anders gesagt, der Mittlere Weg hält uns von blindem Optimismus genaus fern wie von unangenehm großporigem Pessimismus.

Mäßigung klingt nicht gerade nach Nervenkitzel.
Vielleicht hilft sie aber dabei, bei der Stange zu bleiben und freundlich und geduldig zu sein. Das ist ja auch schon was.

Ich frag mich, wie diese Typen das vor tausenden Jahren so ganz allein in ihren Höhlen rausgefunden haben…?

 

Herzlichst,
Anselma

 

 

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