Manchmal ziehen wir falsche Schlüsse.
Wir könnten beispielsweise meinen, die Mona Lisa im schönen Louvre zu Paris wäre so ein berühmtes Kunstwerk, weil es sich um ein exquisites Stück Kunst handelt, eine Komposition von unschätzbarer Einmaligkeit ohne Gleichen.
Dies ist nicht nur das Porträt einer jungen Dame mit kapriziösem Lächeln, man sagt dem Gemälde nach, es sei nach dem Goldenen Schnitt erstellt worden, wobei sich Vordergrund, Mittel- und Hintergrund in vollkommener Ausgewogenheit präsentieren.
Die Farben des Kunstwerks schmeicheln dem Auge. Das Bildnis erweckt in uns ein Empfinden von Eleganz und höchster Kunstfertigkeit. Es wurde in la tecnica dello sfumato gemalt, um uns eine räumliche 3D Illusion auf einer platten 2D Leinwand vorzugaukeln. Es vermittelt beim Betrachter den Eindruck, in ein Fenster der Perfektion zu schauen.
Gemalt wurde dieses famose Stück Kunst von Leonardo da Vinci, eine der zentralen Gallionsfiguren der abendländischen Kunst überhaupt, was dem Ganzen eine Prise mehr Gewicht verleiht und dem Kunstwerk zu noch stärkerer Glaubwürdigkeit verhilft.
Und nicht zu vergessen, dauert es eine geraume Zeit, bis so ein Bildnis gefertigt ist. Der Portraiteur mußte sich wohl so einiges einfallen lassen, um die hübsche Stillsitzerin in diesem Zeitraum fortwährend am Lächeln zu halten…
Dies alles spricht dafür, daß es die Magie des Bildes ist, der betörende Tanz des Pinsels Leonardos und schlichtweg „La Gioconda“ selbst, wie sie in Frankreich genannt wird, die uns so wild in ihren Bann ziehen. Man könnte tatsächlich meinen, dieses bemalte Stück Stoff käme aufgrund seines inhärenten ästhetischen Wertes zu solch unvergleichlicher Berühmtheit.
Nun, so funktioniert unsere Welt aber nicht.
Das Bildnis der Mona Lisa wurde 1911 gestohlen und es dauerte ein ganzes Jahr, bis sie wieder an ihren angestammten Platz in Frankreich zurückkehrte, wohin Leonardo sie eigenhändig gebracht hatte. Auch ein Schuldiger fand sich. In Form eines italienischen Patrioten, der meinte, das weltweit großartigste Bild des weltweit großartigsten Künstlers gehöre in das weltweit großartigste Land, nämlich in seines, nach Italien.
Interessant ist nun, daß Mona Lisas Verschwinden in den damals brandneuen Massenmedien und im noch neueren Farbdruck der Magazine Furore machte. Technische Neuerungen ermöglichten, etwas in Windeseile in jeden Winkel zu tragen. In einer Welt ohne Internet brauchte es zuvor Männer auf Pferden, um Neuigkeiten zu verbreiten.
Alles Neue braucht Ikonen, um gemocht und angenommen zu werden.
In den Medien, das wissen wir, – und daran hat sich in 150 Jahren Mediengeschichte kein Stäubchen geändert – geht es um Negativ-Nachrichten. Selbst im Sport gibt es nur einen glorreichen Sieger während hunderte frustriert leer ausgehen.
Welche Art von Story würden die neuen Print-Medien so attraktiv und unwiderstehlich machen, daß Leute sie kaufen? Die Zeitungsverlage waren hungrig nach Verkaufsschlager News, damals wie heute.
Es stellte sich heraus, daß La Gioconda hier ein wunderbar schlankes Bein machte. Ihr Bildnis gab eine negative Story (es wurde gestohlen), sie erwies sich aber als faszinierend genug, um einen Strom neuer Käufe zu erwirken. Jeder wollte wissen, wies mit diesem Gemälde, das überall in den Magazinen – in schwarzweiß und Farbe – zu sehen war weitergeht.
Mona Lisa ist eine der ältesten Medienstars, wenn man bedenkt, daß sie bereits 1495 gemalt wurde. Sie verdrehte über Jahrhunderte auf robuste Art – anwesend oder abwesend – den Leuten effektiv den Kopf und zählt heute zu den Top 3 Kunstwerken der Welt.
Was ist nun die Moral von der Geschicht‘?
Wenn Du Dich wieder mal betrübst, daß Du nicht ganz so berühmt bist, wie es Deine Oma für Dich wollte, mach Dir keinen Streß.
Du bist einfach noch nicht von den richtigen Medien, die reißerische Berichte über Dich schreiben, entdeckt worden… (kapriziöses Lächeln)
Herzlichst,
Anselma