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Unlängst fand ich in einem schönen Bildband das Portrait eines älteren Mannes.
Eines seiner Augen war klar, das andere war stumpf, glasig – es sah blind aus.
Der Titel des Kunstwerks: „Der Weise“.
Hä? Was???
Ein weiser Mann sollte besser zwei klare Augen haben, oder?
Kommt Klugheit nicht daher, daß man die Dinge deutlich sieht, wie sie sind – klar und realistisch?
Neben dem Bild stand ein Kommentar:
„Ein Weiser besitzt die Fähigkeit, zwischen gut und bös zu unterscheiden.“
Ich stelle mir das so vor: Wenn er etwas Positivem begegnet, betrachtet er es mit seinem sehenden Auge.
Er sieht damit die Schönheit der Welt, sein Lebenselixir.
Sieht er etwas, das ihm nicht gefällt, läßt er sein „blindes“ Auge sehen.
Er schaut damit in sein Inneres.
Er fragt sich: Was lehrt mich dieses ungute Ding?
Wie kann man es rumdrehen?
Was Kluges kann ich als nächstes tun?
Vielleicht stellt er sich auch andere Fragen:
Wie angemessen reagieren… ?
Ist es jetzt sauer?
Findet er jetzt alles – die ganze Welt – doof?
(Solche klitzekleinen Verallgemeinerungen passieren mir manchmal.)
– An meine eigene Menschlichkeit und meine kleinen Mängelchen erinnert, fällt mir plötzlich auf, daß es dem Zeichner hier sehr gut gelungen ist, meine Gedanken mit diesem Bild fliegen zu lassen.
Ich denke:
Das mit den zwei verschiedenen Augen ist ganz stimmig…
Eines für außen, eines für innen.
Hej, coole Idee!
Gute Kunst macht das mit uns.
Sie nimmt uns mit auf eine kleine Ausfahrt.
Es geht rauf und runter und rauf – und wir sehen die Welt mal ganz anders.
Dabei ist es so spannend, daß wir ganz vergessen, daß wir tatsächlich nur ein Bild betrachten oder ein Stück Musik hören.
Wieder im Buchgeschäft bemerke ich wie ich schmunzle und ich denke:
Ok, so ganz falsch war meine erste Idee gar nicht.
Ich hab nur die Hälfte vergessen ;o)
Danke für die Ausfahrt, Mister!
:oD
Was bedeutet weise sein für Dich?
Woran erkennst Du, daß Du gerade Deine eigene Weisheit nutzt?
Herzlichst,
Anselma
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